Rezensionen  

Meister Eckhart - Philosophisch leben
Die Psychologie des nicht-vermissten Gottes 
Wichern-Verlag | Berlin 2003

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“Mit sich selbst zu Rate gehen” - Interview mit Christian Modehn, „Religionsphilosophischer Salon“, Berlin „Mit sich selbst zu Rate gehen“:

Philosophische Praxis

Philosophie ist niemals nur eine Sache der Universitäten (oder, wie in Frankreich, der Schulen) gewesen. Aber erst in den letzten 30 – 40 Jahren lebt das Philosophieren und damit die Philosophie wieder deutlicher an der „Basis“. Diesen wichtigen Prozess begleiten und unterstützen vor allem philosophische Praktiker. Der Religionsphilosophische Salon bietet ein Interview mit Dr. Thomas Polednitschek, er ist philosophischer Praktiker in Münster. Im August 2010 hat er an der „10. Internationalen Konferenz Philosophischer Praktiker“ teilgenommen.
Welches Thema stand diesmal im Mittelpunkt?

Im Mittelpunkt der diesjährigen Konferenz im niederländischen Leusden stand das Thema “Erfahrung”. Philosophische Praktiker aus verschiedenen europäischen Ländern, aus den USA, aus Lateinamerika, Afrika und aus Korea diskutierten dieses Thema in zahlreichen angebotenen “Workshops”. Interessant z. B. der Workshop eines Praktikers aus Botswana, der junge Offiziersanwärter in der Armee “hinter” allem Gehorsam gegenüber der Befehlsgewalt mit seiner Arbeit zu autonom denkenden und selbstverantwortlich handelnden militärischen Führungskräften ausbilden will.

In welcher Weise wurden dabei unterschiedliche (internationale) Themen und Formen der “praktisch-philosophischen Arbeit” deutlich? Gibt es sozusagen “regionale Unterschiede”?

Ja, meiner Beobachtung nach gibt es diese Unterschiede durchaus, und zwar — oberflächlich betrachtet – zwischen einer mehr oder minder pragmatisch ausgerichteten anglo-amerikanischen Tradition und der kontinental-europäischen Denktradition. Für mich hat sich aber auf der Konferenz der Unterschied anders dargestellt, nämlich auf der einen Seite die Praktiker , die nur die “Denkwürdigkeit” der Praxis akzeptieren, nicht aber die praktische Relevanz der Theorie und auf der anderen Seite die Praktiker, die auf der Dialektik von Theorie und Praxis, von Denken und Erfahrung bestehen. Das ging nicht ohne Spannungen ab.

Sind Philosophische Praktiker “nur” in eigenen philosophischen Praxen tätig?
Nein, Philosophische Praktiker sind nicht nur in eigener Praxis, sondern z.B. auch mit Seminaren zu ethischen Fragestellungen im Wirtschaftsleben oder im Bildungssektor tätig. Dazu gehört z.B. in meiner Praxis die Seminarreihe” Was uns zu freien Menschen macht”. Hier werden “Schlüsselfiguren” unserer okzidentalen Denktradition auf ihr Freiheitsverständnis hin befragt. Es ist ja heute alles andere als von vornherein immer schon ausgemacht, wovon wir sprechen, wenn von der “Freiheit” die Rede ist.

Ist die Hauptaufgabe philosophischer Praxis die “Lebensberatung”?
Nein, die Hauptaufgabe Philosophischer Praxis ist nicht die Lebensberatung! Denn — entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis – muss man sagen: Die Sache der Philosophischen Praxis ist nicht die Praxis der philosophischen Beratung, sondern die Sache der Philosophischen Praxis ist die Philosophie, zu der Philosophische Praxis mit ihrer Praxis des Philosophierens einen ganz neuen und eigenen Beitrag leistet! Philosophische Praxis hat nichts mit philosophischer Beratung zu tun, sondern mit der Praxis des Philosophierens, die es ihren Gästen oder Besuchern möglich macht, mit sich selbst zu Rate zu gehen. Die “Praxis des Philosophierens” und das dialogische Denken im Gespräch zwischen dem Praktiker und seinem Gast sind die zwei Seiten der einen Medaille.
Worin sehen Sie als philosophischer Praktiker die Bedeutung der Philosophie für die Lebensgestaltung des einzelnen?

“Geist ist das Leben, das selber in’s Leben schneidet.” (Nietzsche). Die Bedeutung der Philosophie für die Lebensgestaltung des einzelnen sehe ich in einem philosophischen Denken, das “ins Leben eingreift” (Safranski). Eben ein solches Denken will die Praxis des Philosophierens in einer Philosophischen Praxis sein, denn Philosophische Praxis ist an einem Denken interessiert, das Menschen vitaler und wacher macht.
 


Westfälische Nachrichten

Meister Eckhart neu beherzigen
Philosophischer Praktiker

Viel ist in unserer Zeit von einer Krise des Christentums und der Verdunstung des Glaubens in Europa die Rede. Doch der Glaube der Menschen, so versichern uns aufgeweckte Theologen, wandelt sich nur. „Das erwachsen gewordene Christentum ist es, das der Zukunft der christlichen Religion eine Zukunft gibt“, meint der münstersche Theologe und Metz-Schüler Thomas Polednitschek, und er zitiert zugleich den bekannten evangelischen Theologen Jürgen Moltmann: „Darum müssen auch die Christen ihre Pubertät überwinden und reif und weise werden.“

Anders formuliert könnte man sagen: Christ ist man heute nicht mehr automatisch durch Einbettung in einen kindlichen Glauben und eingeübte soziale Konventionen, sondern durch eigene Einsicht und Entscheidung. 750 Jahre nach der Geburt des bedeutenden deutschen Meisterdenkers Eckhart schließt der münstersche Theologe und Philosoph Thomas Polednitschek das Wirken und Denken des großen deutschen Gelehrten für den Leser von heute auf. Das Buch besteht aus zwei Teilen, die aufeinander verweisen. Im hinteren Teil finden sich ausgewählte Texte Meister Eckharts zu unterschiedlichen Fragen des Lebens und Glaubens. Im vorderen Teil erläutert der Her-ausgeber des Buches die Gedanken Eckharts im Hinblick auf deren Bedeutung für ein heutiges durchdachtes und gelebtes Christentum. Polednitschek bringt es zum Schluss seiner Ausführungen auf den Punkt: „Philosophisch lebt, wer wach und lebendig ist, weil sein Denken Herz und Willen in Bewegung setzt.“ Polednitschek wirbt für eine Wiederentdeckung Meister Eckharts und damit zugleich für einen Glauben, der durch Vernunft getragen und durchdacht ist. Ein solcher Glaube ist nichts Theoretisches, das Philo-sophieren wird zu einem Akt, der die Lebenspraxis anstößt und durchzieht.

» Thomas Polednitschek: Meister Eckhart. Philosophisch leben. Herder Verlag, Freiburg, 160 Seiten, 14.95 Euro.

Johannes Loy


„Meister Eckhart. Philosophisch leben.“ - Rezension von Dr. Heidemarie Bennent-Vahle

In der Absichtslosigkeit erschließt sich uns die Tiefe des Daseins. Nur ein Leben, das kein „warumbe" kennt, das um seiner selbst willen gelebt und begehrt wird, ist ein sinnvolles Leben. Diese schlichte, doch zugleich implikationsreiche und folgenschwere Weisheit Meister Eckharts steht am Anfang eines unlängst bei Herder erschienen Bändchens des Philosophischen Praktikers Thomas Polednitschek zu Ehren des spätmittelalterlichen Theologen. Etwas, das gewiss niemals vom Standort eines Dominikanermönches des 14. Jahrhunderts her beabsichtigt werden konnte, bildet hier den Fokus des Nachdenkens: das Gewicht und die aktuelle Dringlichkeit der Eckhartschen Lebenslehren für den „Nihilismus unserer Nachmoderne", dessen Kennzeichen der „geheimnisleere" Mensch sei.
Wenn auch anlässlich des 750sten Geburtstages des großen Theologen, Mystagogen und Philosophen Eckhart herausgegeben, intendiert das Bändchen also weitaus mehr als eine historische Aufbereitung alter Predigten und Traktate für ein interessiertes Laienpublikum. Ohne es an Sensibilität für die theologische Herkunft der Gedanken Eckharts mangeln zu lassen, macht Polednitschek - selbst Theologe, Philosophischer Praktiker und Psychotherapeut in Personalunion - die Erkenntnisse des Meisters für ein philosophisch angeleitetes Leben in der Gegenwart stark. Eine der zentralen Subbotschaften des Buches ist dabei, dass Subjektmüdigkeit und das Fehlen eines überindividuellen Geistes die Seelen moderner Menschen in maßlose Apathie stürzen lässt und einen Zustand „wunschlosen Unglücks" hervorruft, dem mit einem psychotherapeutischen Handwerkskoffer allein nicht mehr beizukommen ist. Wir leiden an einer „metaphysischen Resignation", jede weiter reichende Sehnsucht ist zugeschüttet von dem grenzenlosen „Bedürfnis zu haben", als „Gefangene unserer Subjektivität" kreisen wir sentimentalisch um den Fixstern unseres Ich und sind doch von ausnehmender Gefühllosigkeit und Schmerzunempfindlichkeit. Der Mensch unserer Tage „leidet daran, dass er nicht leiden kann", heißt es. Für eine solchermaßen „anästhesierte" Subjektivität bieten Eckharts Schriften einen vitalisierenden Nektar, den die Philosophische Praxis, so das Selbstverständnis Polednitscheks, in „Honig für die Menschen" zu verwandeln habe. Genau diese Transformation ist das Konzept des Buches.
Man mag sich fragen, warum Polednitschek, um dem unverstandenen Leid der Gegenwart zu begegnen, so tief hineingreift in die Schatztruhe philosophischer Arzneien. Obschon er für sein Anliegen durchaus gegenwartsnähere Denker wie Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Michel Foucault, Jürgen Habermas oder auch den Künstler Joseph Beuys ins Feld führen kann, obschon er vor allem in dem Theologen Johann Baptiste Metz, der sein unmittelbarer Lehrer war, einen Inspirator für die politische Dimension christlicher Nachfolge findet, kommt Eckhart eine Schlüsselstellung zu. Warum? Quer zur zeitgenössischen Tradition stehend denkt der theologische Anthropologe Eckhart außerordentlich groß vom Menschen, indem er in der menschlichen Vernunftfähigkeit das unmittelbare Wirken des Göttlichen erblickt. Vernunft ist der ,Tempel Gottes'. Nirgends wohnt Gott eigentlicher als „in seinem Tempel, in der Vernunft.", schreibt er. Wir haben es hier also mit einer christlichen Lehre zu tun, in der die menschliche Existenz kein irdisches Jammertal durchschreitet, sondern kraft eines eingeborenen Logos gotterfüllt und edel ist. Mit seiner Vorstellung eines alle Seelen durchtränkenden Logos, in dem Lieben und Denken noch ungeschieden beieinander sind, kann Eckhart als ein früher Aufklärer angesehen werden. Solchermaßen zuversichtlich auf einen der Seele verschmolzenen göttlichen Steuermann bauend, bewirkt seine Lehre einen Autonomisierungsschub, der wahrhaft modern anmutet. Eckhart steht für einen „vulgären" Wahrheitsbegriff, wonach prinzipiell jeder Mensch wahrheitsfähig ist.
Doch nicht allein die Aufkündigung eines Wahrheitsprivilegs der Gebildeten macht Eckhart modern. Wesentlicher noch ist die damit verknüpfte Idee einer christlichen Weltverwicklung, die die politische, d.h. alltagspraktisch tätige Dimension christlicher Lebensführung hervorhebt. Eckhart meint hier eine „nicht-halbierte" (Metz) Nachfolge, die sich nicht in einer frömmelnden oder kontemplativen Innerlichkeit erschöpft, sondern tatkräftig in die Welt eingreift. Nach Polednitschek steht Eckhart hierbei für eine Vernunft, die nicht auf eine blutleere Rationalität zurückgeschrumpft ist, sondern das Signum ihrer göttlichen Herkunft als „Motor der Liebe" noch in sich trägt. Die Entfaltung dieser Vernunft vollzieht die Menschwerdung Gottes, zu Tage tretend in einer Transformation des Subjektes hin zu Erfahrungsoffenheit, Leidempfindlichkeit und aktiver zwischenmenschlicher Wärme.
Radikale Diesseitigkeit und kompromisslose Ausrichtung an einem lebensnahen Geist der Gerechtigkeit machen den theologischen Denker Eckhart für Polednitschek also zum Schirmherrn einer Philosophischen Praxis unserer Zeit. Eckhart bietet die metaphysische Schwerkraft, die uns fehlt, während er zugleich jeden weltfremden, bigotten und selbstgerechten Glaubenseifer meidet, der vielen modernen Menschen das Christentum verdächtig macht. Er steht mithin für eine Vernunft, die Konsequenzen für das Leben hat, also „Existenzmitteilung ist", für eine Vernunft, so können wir mit Polednitschek. weiter ergänzen, die auch der kalten, reduzierten Wissenschaftsmentalität der Gegenwart entgegentritt und damit gewissermaßen die Schablone einer Aufklärungskritik vor der Aufklärung abgibt.
Korrespondierend zu den 21 themenbezogenen Interpretationen des Herausgebers bietet das vorliegende Bändchen seinem Leser 21 Originaltextauszüge aus den Schriften Eckharts zur weiterführenden Lektüre und vertiefenden Prüfung an. Damit öffnet Polednitschek den mit Eckhart geführten Dialog auf den Leser hin. Er spielt ihm einen Traditionsfaden zu, der es erlaubt, ohne Geschichtsblindheit, wenigstens einmal versuchsweise an eine ferne und fremde Vergangenheit anzuknüpfen. Man mag daran zweifeln, ob der ichzentrierte leichtgewichtige Phänotyp der Gegenwart seiner metaphysischen Schwerelosigkeit noch gewahr zu werden vermag, ob er Meister Eckhart studieren wird, um zu begreifen, was es bedeutet, die „Mitte seiner Wahrheit" nicht in sich selbst zu suchen, sondern im „kulturell und gesellschaftlich vermittelte(n) Allgemeinen, an dem das Besondere partizipiert." Doch ungeachtet solcher Bedenken, gewinnt gemessen an der anthropologischen Schnittvorlage eines Meister Eckhart die Krankheit einer reine(n) Bedürfnisgesellschaft Kontur, eine Krankheit, für die auch eine Vielzahl psychotherapeutischer Therapieschulen und -formen keinen Diagnoseschlüssel zu besitzen scheint. Denn, so die leuchtende Kernaussage des Bändchens: Metaphysische Totalabstinenz, der Stolz des modernen freiheitsliebenden Menschen, generiert Resignation und senkt den „Wärmecharakter des Denkens" auf Null. Es ist das Vertrauen auf jene allem Offensichtlichen und Empirischen vorgängige Vernunftwurzel, auf jenen göttlichen Logos, der allein das liebende Band von Mensch zu Mensch zu knüpfen und in der Selbsttranszendenz die Beklemmung der Seele nachhaltig zu lösen vermag.
 


Kirche + Leben

Rezension folgt.

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